Völker ohne Geschichte
"In der kapitalistischen Produktionsweise geht die herrschende Ideologie von der Gleichheit aller Marktteilnehmer aus - und dies angesichts der grundlegenden Differenz zwischen Kapitalisten und Arbeitern hinsichtlich der politischen und ökonomischen Macht. Auf der Ebene des Warenaustauschs werden alle gesellschaftlichen Akteure als gleichberechtigte Teilnehmer definiert, aber die produktionsweise beruht strukturell auf der "ungleichen Verteilung der Produktionsfaktoren" zwischen Kapitaleigentümern und denen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen." (Wolf 1986: 538)."Die Herausbildung von Ideensystemen weist mithin eine ökonomische und eine politische Dimension auf; und in voll ausgebildetem Zustand werden sie zu Waffen in den Auseinandersetzungen zwischen gesellschaftlichen Interessen. Nun ist es allerdings nicht so, dass die Beziehung zwischen Ideenvorräten und einzelnen Gruppeninterssen strukturell völlig übereinstimmend wäre. Die von einer Produktionsweise hervorgebrachten Ideensysteme können ganz verschiedenartiger und oft widersprüchlicher Natur sein. Sie ergeben eine ganze "Lebenswelt" kollektiver Darstellungsformen, und die Ideologiebildung vollzieht sich innerhalb eines Bereichs ideologischer Optionen, in dem die einzelnen Gruppen in einem komplizierten Auswahlprozess zwischen mehreren Alternativen ihre Positionen abstecken. Dieser Vorgang des Aus- und Eingrenzens spielt nicht etwa nur auf kognitiver Ebene eine Rolle, sondern hat auch etwas mit Machtausübung zu tun. Um ihre ideologische Hegemonie zu behaupten, müssen die Verteidiger der Orthodoxie ihre Gebote in immer mehr instrumentellen Bereichen durchsetzen und gleichzeitig subalterne Gruppen an der Formulierung entwicklungsfähiger Alternativen behindern. Wo aber die Wirkung der fortwährenden Wiederholung nachlässt und die Ideologie-Produktion mißlingt, kann diese Mangel womöglich durch Einsatz von Gewalt ausgeglichen werden." (Wolf 1986: 539)."Die Art und Weise, wie die gesellschaftliche Arbeit aufgeboten wird, die dem menschlichen Ziel dienen soll, sich die Welt der Natur anzueignen, bestimmt den Gang der Geschichte. Und dieser Gang stellt diejenigen Völker, die sich eine privilegierte Beziehung zur Geschichte gesichert haben, und die anderen Völker, denen eine "eigene" Geschichte vorenthalten wurde, in ein einziges, nämlich ihr gemeinsames "Schicksal". (Wolf 1986: 540).
aus:
Wolf, Eric R.¬Die¬ Völker ohne Geschichte : Europa und die andere Welt seit 1400 / Eric R. Wolf. - Frankfurt [u.a.] : Campus-Verl., 1986. - 587 S. : Ill., Kt. (dt.).
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